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Food Revolution 5.0
Food Revolution 5.0
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert wie es sein wird
 
Fast alle Spielarten die Essen sein kann und Wege, die es zu nehmen vermag werden in der neuen Ausstellung „food revolution 5.0“ des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe thematisiert und dazu auf eine nicht definierte Zukunft projiziert. Mehr als 30 Künstler, Designer, Architekten, Planer und Wissenschaftler verschiedenster Fachgebiete leisten einen Betrag zur Imagination von Essen, Nahrung und Ernährung wie sie vielleicht einmal sein könnten. „Revolution“ verweist dabei auf einen technisch-digitalen Zukunftsglauben der aber auch hinterfragt und satirisch kommentiert wird.


Indoor Farm: Ein Farmsystem bei dem die Pflanzen nicht mehr in der Erde sondern vieletagig in einem wassergefluteten Substrat wachsen präsentiert das Frauenhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. Obwohl sie nie Erde und biologische Umwelt gesehen haben sollen diese Salate Bioqualität haben.


Der Anspruch den Ausstellungsmacher und Kuratorin Claudia Banz  formulieren greift sehr weit. Essen wird als gesellschaftlicher und politischer Akt verstanden, der ökologische, ökonomische, soziale, moralische und ethische Ebenen zusammenführt. Die Ausstellung präsentiert dazu eine Art offenes Design-Forum, in dem die Kreativen ihr Food- Zukunftsverständnis in einem Werk realisieren. Klar, dass die/der BesucherIn selbst Zusammenhänge zwischen den sehr verschiedenen Projektangeboten herausfinden muss - sofern es sie gibt. Museumsgästen, die einer solchen Kreativsafari aufgeschlossen gegenüberstehen, kann man den Ausstellungsbesuch sehr empfehlen.
 
Viele Ideen sind von Parodie und Satire inspiriert. Austin Stewart hat ein Screen Capture Headset für Hühner entwickelt. Wenn die in ihren wenigen Quadratdezimeter kleinen Gitterboxen sitzen, sollen sie wenigstens eine digitale Welt vor Augen haben, die ihnen die Illusion vom Hühnerhof vermittelt. Ein Schelm, wer dabei an Googles Digitalbrillen oder auch an Handys denkt, die für viele Nutzer den Zugang zur Umwelt bedeuten. Und auch eine ohnmächtige Kritik an der Tierhaltung der Moderne.
 
Noch einen Schritt weiter gehen andere Künstler, die unsere Technik- und Wissenschaftsgläubigkeit in die Zukunft projizieren. Warum Eiweiße und Kohlenhydrate so umständlich über Massentierhaltung und Ackerbau produzieren und dabei noch den Klimawandel befördern? Einfacher ist der Vorschlag von Michael Burton und Michiko Nitta sich ein mit dem Körper verbundenes transparentes Schlauch- und Röhrensystem zuzulegen in dem Algenwachsen, in das man ausatmet (CO2) und das die daraus hergestellten Algenprodukte anschließend in den Magen abgibt. Natürlich dürfen die Röhren nicht unter der Kleidung getragen werden, sondern müssen oben auf dem Kopf sitzen, damit die Algen genug Licht bekommen. Sie wollen nicht auf Fleisch verzichten? Kein Problem, Chloé Rutzerveld hat ein Bioreaktoramulett entwickelt, dass an den eigenen Blutkreislauf angeschlossen wird und in den körpereigenen Muskelzellen wachsen, die bei Bedarf entnommen und verzehrt werden können. Diese Technik ist optimal für die Umwelt, perfektes Recycling und zusätzlich hygienisch einwandfrei.



Direkternährung aus dem Algenschlauch – eine Zukunft für den Menschen? Designprojekt „Algaculture“ von Michael Burton und Michiko Nitta


Jenseits aller Satire zeigt der Fotograf Henk Wildschut Einblicke in moderne Tierhaltungssysteme für Hühner und Schweine. Das ist nichts für zarte Seelen die meinen, Tiere seien Lebewesen und die bräuchten ein bisschen Natur um sich herum. Dabei zeigt er – zu Recht – Verständnis für die Produzenten, denn sie stehen im Fokus von einem Dutzend und mehr kontroverser und einander ausschließender Zwänge durch Gewinnerzielung, Gesetzgeber, Bauvorschriften, Hygienevorschriften, Tiergesundheit, Tierschützer, Konsumenten, Lebensmittelhandel, Wettbewerb, Versicherungen, Schlachtvorschriften usw. Doch das was da am Ende herauskommt ist für die Tiere grausam und kann eigentlich niemanden ernsthaft zu Frieden stellen. Mit seinen Fotos konterkariert Wildschut die romantisierenden Tierbilder der Nahrungsmittelwerbung.

Die Ausstellung bietet kein soziologisches oder ökonomisches Seminar. Sie verweist knapp auf Fakten zur Lebensmittelproduktion, Ernährung, Marktmacht, globaler Landwirtschaft und Konsum usw. Vertiefung der Fakten sucht man vergebens. Aber sie legt den Finger in die Wunde gesellschaftlicher Zusammenhänge rund um die Lebensmittelproduktion. Am tiefsten schürft Isabel Mager aus Rotterdam mit ihrem Großposter „Intimacy of Food and War“, das als Collage konzipiert ist. Ihr Ausgangspunkt ist die Zustimmung des Europaparlaments zum Patentieren von Tieren und Pflanzen in 2015. Das gibt der Industrie langfristig weiterwachsende Macht und Kontrolle über die Lebensmittel. Diesen Gedanken der Macht und Kontrolle über und schließlich durch oder mit Lebensmitteln untersucht sie quer durch Industrien, Politik und Weltregionen. Hunderte Zeitungen, Broschüren, Fotos und Bilder hat sie ausgewertet. Herausgekommen ist ein verstörendes etwa 3 x 6 Meter Wandposter, aus dem hier einige Zitate wiedergegeben werden: „The Avocado Wars“, „Mexico´s Avocado Capital Launches New Paramilitary Unit“, „U.S. led raids hit grain silos in Syria, kill workers: monitor“, „GMO Food and It´s Dark Connections to the <Military Industrial



Nahrung hat nach Meinung von Isabel Mager viel mit Krieg zu tun. Ihr Collageprojekt nennt sie deshalb: „Intimacy of food and war“.


Complex>“, „Why food riots are likely to become the new normal“ und viele andere. Seit USA und EU nach der Finanzkrise 2008 Lebensmittel für die Finanzspekulation freigegeben haben kommt es immer wieder zu Preissteigerungen, die jene Bevölkerungen in den Ruin treiben die 60, 70 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen.
Bevor die Lebensmittel in den Magen kommen, wo endlich ihre individuelle Verdauung beginnt, haben sie abgesehen von ihren sozialen Zusammenhängen ein großes Kunst-, Fantasie- und Designpotential. Die Kuratorin und die Künstler aus Berlin, Hamburg und vielen Städten rund um die Welt lassen kaum etwas aus.
Hübsche und variantenreiche Lebensmittel werden mit dem 3D-Drucker hergestellt der auch pürierten Mehlwürmer verarbeitet. Vielleicht sind ganz neue Erfindungen möglich, z.B. Pilze, die auf Kunststoffen wachsen und der Ernährung dienen – man bräuchte dann Plastiktüten nicht mehr wegzuwerfen. Wir folgen Maurizio Montalti, der sich angesichts der Herausforderungen vom Designer zum Forscher wandelt. Mit seiner Installation „growing lab–mycelia“   stellt er sich Experimentreihen vor, die synthetische Kunststoffe in vollständig kompostierbare Materialien umzuformen vermögen.



So sieht nach Maurizio Montalti das „growing lab-mycelia“ aus mit dem über kunststoffverändernde Pilze experimentiert werden kann.


Insekten lassen sich äußerst platzsparend produzieren. Carolin Schulze bietet als Gericht aus Mehlwürmern an: „falscher hase oder bugs´ bunny“.  In vielen Ländern der Erde werden Insekten gerne verzehrt. Nur in Deutschland bescheiden wir uns mit den „Krabben“ von der Nordsee.
Selbsterfahrung mit der Herstellung von Lebensmitteln kann, genauer: konnte man früher unmittelbar um die Ecke machen. Heute liegen die Lebensmittel dicht verpackt im Supermarkt und seinen Kühlregalen.   Andrea Staudacher gab sich damit nicht zufrieden. Sie schlachtete mit fachkundiger Anleitung selbst ein Schwein. Der Bauer brachte und verkaufte ihr das Tier: Banknoten gegen das Leben des Tieres. Dieser Vorgang dringt in das eigene Leben ein, verändert den Blick auf das Fleischangebot im Kühlregal und den eigenen Fleischkonsum.
Nähe und Kompetenz des Schlachters von nebenan vermisst Hanan Alkouh. Mit seiner Installation „seaweed meat“ schlägt er jedoch statt des tiermörderischen Einwirkens und Verarbeitens eines Schweins die Entdeckung der Meeresrotalge Dulse vor. Gebraten schmeckt dieser Lappentang wie Speck. Daraus stellt er eine fleischähnliche Masse her, die dann gepresst und in Form gebracht als vegetarisches Schwein unter Berücksichtigung aller Schlachterkompetenzen verarbeitet wird. So bleiben Handwerk und Nachbarschaft erhalten. Gleichzeitig werden die Umwelt geschont und die Massentierhaltung überflüssig.



Sieht aus wie Schwein, ist aber die vom Künstler zur Aufrechterhaltung des Metzgerhandwerks geformte und verarbeitete Rotalge Dulse (Lappentang).


Küchen, Kochen, Geschirr und Alles was mit dem Zu-sich-nehmen des Essens zu tun hat sind weitere große Experimentierfelder denen sich zahlreiche Künstler widmen. Auch Designspezialisten unter den Besuchern finden da jede Menge Anknüpfungspunkte.
Zum Schluss wird es Konkret und die Ausstellung kommt auf den Boden zurück von dem man Jahrtausende lang dachte, dass er die Menschen ernährt. Oft waren die Aufkäufer großer Agrarfonds aber schon vorher da. Wir erfahren über Deutsche Fonds, dass sie alleine 2010 1,5 Millionen Hektar Land in Afrika und Lateinamerika kauften. Dagegen nimmt sich die Ansprache des Wegwerfproblems überzähliger Lebensmittel eher bescheiden als Balsam für erdverbundene Gemüter aus. Richtiger würde es als notwendiger Bestandteil der landwirtschaftlichen Produktion in den Industriegesellschaften erkannt, ohne das heute keine gewinnorientierte industrie- und marktkonforme Landwirtschaft möglich ist. Den Hungernden in Afrika kann man mit Überschussprodukten (von extremen Ausnahmen abgesehen) nur schaden. Nützen würde eine Stärkung der dortigen bodenständigen Landwirtschaft.
Die Ausstellung bleibt weiter auf dem Boden und führt zu Konzepten von Basis-, Nachbarschaftsinitiativen und Stadtplanern unter Begriffen wie „Urban Gardening“ und „Urban Farming“. Da gibt es ihn doch noch, den Geruch der fruchtbaren Erde und die Freude am Wachsen der Radieschen und Salate. Vorgänge, wie sie mit diesen Begriffen aus den USA zu uns kommen, kannten wir ähnlich auch schon aus den 50er Jahren, bevor das „Wirtschaftswunder“ mit dem Discounteinkauf der Lebensmittel in Deutschland raumgreifend wurde.
Etwas knapp fällt die Einbeziehung des Alltags und des Gewöhnlichen aus, wie sie z.B. Miho Aikawa mit seinen Fotos speisender Computer-Nerds vornimmt. Wo aber bleibt die Auseinandersetzung mit der Kantine, der Imbissbude, der Zukunft von Döner oder Bratwurst. Wie sieht die Ernährungszukunft bei einem Harz IV-Einkommen aus? Auch die Alltagskultur birgt Herausforderungen, die auf eine fantasievolle und künstlerische Verarbeitung warten. Oder sollten die Bratwurst- und Dönerbuden resistent sein gegen Food 5.0?
Wandtafeln verweisen immer wieder auf die Zusammenhänge zwischen Lebensmitteln und gesellschaftlichen Interessen, Umwelt, Klima. Aber die Ausstellung ergründet soziale und naturwissenschaftliche Zusammenhänge nicht. Dass ist nicht ihr Ziel. Sie zeigt, wie Künstler und Designer bis hin zu Architekten oder Biologen sich mit diesen Themen auseinandersetzen. So werden mit den Kunstprojekten einzelne Gedanken die in unserem Umgang mit Lebensmitteln angelegt sind auf den Punkt gebracht und zu Ende gedacht – egal, wohin sie letztlich führen. Das wird oft sehr persönlich. Darauf muss der/die BesucherIn sich einlassen, aber das hat eine eigene Faszination und macht die Ausstellung einzigartig. Manche Gedanken und Projektideen sind auch in sich inkonsistent, bei einer solchen Ausstellungskonzeption ist das unvermeidbar und macht vielleicht auch ihren Reiz aus.  Schließlich ist die Ausstellung für Themen und Gedanken offen und das schließt auch die Besucher ein, die angestoßen werden die Themen für sich zu entdecken und weiter zu denken.
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